Weimar und globaler politischer Wandel
Deutschland und die Etablierung einer neuen Völkerrechts- und Weltwirtschaftsordnung nach 1918
Weimar, 9.-11.12.2016, Hotel Kaiserin Augusta
Veranstalter: | Prof. Dr. Michael Dreyer (Vorstandsvorsitzender des Weimarer Republik e.V.) |
Dr. Andreas Braune (Forschungsstelle Weimarer Republik an der FSU Jena) | |
Kontakt: | michael.dreyer@uni-jena.de |
andreas.braune@uni-jena.de |
Aus heutiger Perspektive ist die Zwischenkriegszeit 1919-1939 in vielerlei Hinsicht eine terra incognita und wird bei der Erklärung von politischen Institutionen und Praktiken der Gegenwart kaum berücksichtigt. Oft bildet das Jahr 1945 den Ausgangs- und Nullpunkt der institutionellen Entwicklung unserer Gegenwart. Grundgesetz und Vereinte Nationen entstehen so scheinbar aus dem Nichts, und wenn sie eine Bezugnahme auf die Vergangenheit herstellten, dann eine negative: Bonn ist nicht Weimar, die UN sind nicht der Völkerbund. Dabei sind die Artikel 136-139 und 141 der WRV noch heute geltendes Verfassungsrecht, und die 1919 gegründete ILO – die Internationaler Arbeitsorganisation – lebt als Sonderorganisation der Vereinten Nationen fort. Das sind kleinere faktische Kontinuitäten, die hinter die impliziten weit zurücktreten.
Kurz: Die politischen Institutionen und Praktiken, die nach 1945 geschaffen wurden, um die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen, blicken auf eine Vorgeschichte zurück. In diesem Verständnis ist die sogenannte ‚Zwischenkriegszeit‘ mehr als ein kurzes Intermezzo oder ein bloßer Waffenstillstand zwischen zwei globalen Waffengängen. Sie ist ein bedeutendes Experimentierfeld für die Reorganisation des politischen Zusammenlebens auf nationaler wie internationaler Ebene. Denn auch 1919 wurde der ‚Große Krieg‘ als ein Zivilisationsbruch betrachtet, dessen Wiederholung unbedingt zu verhindern sei. Nur über die Wege, dies zu erreichen, herrschte eine große Meinungsverschiedenheit: Entwaffnung und dauerhafte Schwächung der kriegsauslösenden Staaten? Rückkehr zum Gleichgewicht der Kräfte? Internationale Abrüstung? Schaffung von inter- oder gar supranationalen Institutionen? Viele Pläne kamen auf den Tisch, zahllose Wege wurden begonnen, viele Abbiegungen genommen, viele abgebrochen. Völkerbund, Locarno, Kellogg-Briand-Pakt sind die bekanntesten Stichworte für die Schaffung einer neuen Völkerrechtsordnung, die über die Schaffung von Völkerrechtsmandaten auch erstmals die Möglichkeit einer geregelten Dekolonisation eröffnete. Auch blieben die Ordnungsentwürfe des Westens nicht unangefochten, wie die Gründung und Politik der Komintern zeigte. Und auch am rechten Rand kursierten die verschiedensten Neuordnungsentwürfe. Ökonomisch forderten zudem die Reparationsfrage und internationale Inflations- und Staatsschuldenkrisen im Anschluss an den Weltkrieg die globale Regulierung dieser Probleme: Dawes-Plan, Völkerbundanleihen, Young-Plan und Hoover-Moratorium zeigten an, dass die ökonomische Vernetzung der Staaten und Volkswirtschaften so eng geworden war, dass sie aufeinander angewiesen waren und eine international regulierte Weltwirtschaftsordnung stiften mussten.
Der jungen Weimarer Republik kam dabei eine Schlüsselstellung zu, selbst wenn sie 1919 noch von der Neuordnung der internationalen Beziehungen ausgeschlossen war. Über die Reparationsfrage jedoch avancierte die Republik zu einem Verhandlungspartner, den man einbeziehen musste. Ab 1926 war Deutschland dann auch Mitglied des Völkerbundes, und zwar gleich als ständiges Mitglied des Völkerbundsrates. Gustav Stresemann sorgte als Außenminister zudem dafür, dass Deutschland am Kellogg-Briand-Pakt von 1928 beteiligt war, der erstmalig auf eine vollständige Ächtung des Krieges zielte. Zeichneten sich hier die Konturen einer genuin republikanischen Außenpolitik ab, die gegenüber dem Machtstaatsdenken des 19. Jahrhunderts ein echtes Novum bildete?
Auch wenn spätestens 1939 der Versuch der Etablierung einer friedlichen Völkerrechts- und Weltwirtschaftsordnung auf tragische Weise scheiterte, wurden seit 1919 eine ganze Reihe wichtiger Wegmarken gesetzt, an die 1945 angeknüpft werden konnte. Die Konferenz setzt sich zum Ziel, diese Wegmarken zu identifizieren, ihren umstrittenen und umkämpften Charakter offen zu legen und den Beitrag der jungen Weimarer Republik zu rekonstruieren.
Programm
Freitag, 9.12.2016
14:45 – 15:15 Uhr: Begrüßung
Grußworte durch die Leitung der FSU Jena & TMWWDG (geplant)
Michael Dreyer & Andreas Braune (Jena)
Einführung: Chancen und Fallstricke internationaler Reorganisation nach 1918
15:15 – 16:45 Uhr:
1. Sitzung: Versailles und die Folgen
Boris Barth (Konstanz)
Die Pariser Weltordnung und die europäischen Demokratien der Zwischenkriegszeit
Paul Köppen (Potsdam)
Der Versailler Vertrag und Konturen einer republikanischen Außenpolitik
16:45 – 17:15 Uhr Kaffeepause
17:15 – 18:45 Uhr
2. Sitzung: Das Völkerrecht in der Zwischenkriegszeit
Jens Steffek (Darmstadt)
Vom „Revisionismus“ zu einem „realistischen“ Völkerrecht? Transatlantische Entwicklungen des Völkerrechts 1918-1938
Jochen von Bernstorff (Tübingen)
Der Kellogg-Briand-Pakt und die internationale Kriegsächtung
19:30 Uhr Abendveranstaltung
Coudraysaal in der Musikschule Johann Nepomuk Hummel, Karl-Liebknecht-Straße 1
Grußworte (geplant): Oberbürgermeister Weimar, Vertreter Auswärtiges Amt, BMJV
Verleihung des Preises zu Forschungsarbeiten zur Weimarer Republik in den drei Kategorien
Friedrich-Ebert-Preis für die beste Habilitation oder Dissertation
Hugo-Preuß-Preis für die beste Master-, M.A.-, Diplom- oder Staatsexamensarbeit
in Kooperation mit der Hugo-Preuß-Stiftung
Matthias-Erzberger-Preis für die beste Bachelorarbeit
Festvortrag
Wolfram Pyta (Stuttgart)
Innenpolitik unter dem Primat der Außenpolitik?
21 Uhr Empfang
Samstag, 10.12.2016
9:00 – 10:30 Uhr
3. Sitzung: Völkerbund & Europa
Joachim Wintzer (Berlin)
„Deutschland und der Völkerbund 1918-1926“
Florian Greiner (Augsburg)
Europäische Erfahrungen. Europa als Raumvorstellung in der Weimarer Zeit
10:45 – 12:15 Uhr
4. Sitzung: Die Republik auf internationaler Bühne
Markus Lang (Santiago de Chile)
Zur unterschätzten Attraktivität der Weimarer Verfassung — internationale Perspektiven
Wolfgang Michalka (Karlsruhe)
Liquidierung des Krieges und Konsolidierung des Friedens. Walther Rathenaus Konzept einer liberalen Wirtschaftsaußenpolitik
12:15 – 13:30 Uhr Mittagspause
13:30 – 15:00 Uhr
5. Sitzung: Bedrängt und kämpferisch: Liberalismus als internationaler Ordnungsentwurf
Gerhard Wegner (Erfurt)
Die Krise des Liberalismus als Thema ordnungsökonomischen Denkens in der Zwischenkriegszeit
Hagen Schulz-Forberg (Aarhaus)
Deutschland und die Entstehung des Neoliberalismus
15:00 – 15:30 Uhr Kaffeepause
15:30 – 17:00 Uhr
6. Sitzung: Antiliberale Gegenentwürfe
Stefan Breuer (Hamburg)
Vom 'Imperium Germanicum' zum 'deutschen Staat nordischer Rasse'. Weltordnungsentwürfe der radikalen Rechten in der Weimarer Republik
Bernhard H. Bayerlein (Mannheim)
Deutschland und die Komintern, 1919-1933
17:45 – 18:30 Uhr
Besuch der Ausstellung „Demokratie aus Weimar. Die Nationalversammlung 1919“ im Stadtmuseum Weimar
19:00 Uhr gemeinsames Abendessen
Sonntag, 11.12.2016
9:30 – 11:00 Uhr
7. Sitzung: Weltwirtschaft und globale ökonomische Ordnung
Albrecht Ritschl (London)
Die Reparationsfrage als Katalysator internationaler Ordnungsstiftung?
Roman Köster (Freiburg)
Die Große Depression als Erfahrungsraum. Weimarer Republik und europäische Wirtschaftsordnung im Verlauf der großen Krise
11:15 – 12:45 Uhr
8. Sitzung: Weltwirtschafts- und Weltsozialpolitik
Jakob Zollmann (Berlin)
Integration, Wachstum, Gerechtigkeit? Die Internationale Handelskammer (Paris) und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1920-1936
Daniel Maul (Oslo)
Deutschland und die Gründung der ILO
12:45 – 13:15 Uhr Abschließende Bemerkungen
13:15 abschließendes Mittagessen
Zeitraum: 09.12.2016 09:00 Uhr - 11.12.2016 17:00 Uhr