Einigkeit und Recht - doch Freiheit? Das Kaiserreich in der deutschen Demokratiegeschichte

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Online-Workshop veranstaltet von der AG Orte der Demokratiegeschichte in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Weimarer Republik, der Otto-von-Bismarck Stiftung und dem Weimarer Republik e.V.

Datum: 29. bis 30. Oktober 2020

 

Warum eine wissenschaftliche Tagung zum Kaiserreich? Und was hat ein häufig als monarchischer Obrigkeitsstaat bezeichnetes politisches System mit Demokratie zu tun?

Der unmittelbare Anlass für die Tagung war das 150-jährige Jubiläum der Reichsgründung am 18. Januar 1871. „Wie kann man dieses Jubiläum heute angemessen begehen?“, so eine der zentralen Fragestellungen der Tagung. Diese Frage so zu stellen, bedeutet gleichzeitig, dass es auch „unangemessene“ Formen des Erinnerns gibt. In der Tat findet man in den letzten Jahren mehr und mehr Versuche, das Kaiserreich gegen die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft und anderer Geistes- und Sozialwissenschaften für rechtspopulistische und rechtsextreme Traditionsbildung zu vereinnahmen oder in eine „geglättete“ deutsche Geschichte zu integrieren. Zuletzt hat etwa der Streit um die Farben des Kaiserreiches und ihre Instrumentalisierung für geschichtsrevisionistische Absichten für Diskussion gesorgt. Die Teilnehmer der Tagung waren sich einig, dass diesem Missbrauch mit differenzierten aber gleichzeitig leicht zugänglichen Darstellungen aktueller Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit begegnet werden soll.

Diese Darstellungen ordnen wir in eine Demokratiegeschichte ein. Unter Demokratiegeschichte verstehen wir das individuelle und gesellschaftliche Ringen um die Verwirklichung von Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im historischen Prozess, egal ob die konkreten Bemühungen im Einzelfall unmittelbar von Erfolg gekrönt waren oder nicht. Vorträge und Diskussionen der Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiteten die ambivalente Rolle heraus, die dem Kaiserreich in diesem historischen Prozess zukommt. Selbstverständlich war es ein Obrigkeitsstaat, ohne Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk bzw. dem Reichsparlament. Gleichzeitig fanden die Wahlen zum Reichstag unter einem im internationalen Vergleich wegweisenden allgemeinen und freien Männerwahlrecht statt. Als der Staat sich von der aufsteigenden Sozialdemokratie bedroht sah, reagierte er mit dem repressiven „Sozialistengesetz“. Die Repression führte aber eher zu einer Mobilisierung und Stärkung der Arbeiterbewegung und keinesfalls zu deren Zerschlagung. Parteien konnten im Reichstag und in den Landtagen ein Kompromiss-Dispositiv ausbilden und strategische Bündnisse erproben, allesamt wichtige demokratische Verhaltensmuster. Ohne die Möglichkeit zur Übernahme von Regierungsverantwortung wurde jedoch gleichzeitig eine Haltung der politischen Verantwortungslosigkeit und permanenten Opposition befördert. Auf kommunaler Ebene eröffneten sich Handlungsspielräume und Partizipationsmöglichkeiten für bislang ausgeschlossene soziale Gruppen, wie am Beispiel der Sozialdemokratie und der Frauen herausgearbeitet wird.

 

Programm

 

Donnerstag, 29. Oktober 2020

 

12:00-12:15 Uhr – Begrüßung & Einführung

Das Kaiserreich zwischen Obrigkeitsstaat und Volksstaat. Einige Vorüberlegungen

Andreas Braune, Forschungsstelle Weimarer Republik

Markus Lang, AG Orte der Demokratiegeschichte/Weimarer Republik e.V.

Ulrich Lappenküper, Otto-von-Bismarck-Stiftung

 

12:15-13:00 Uhr – Institutionen I: Verfassung und Staatsoberhaupt
Moderation: Markus Lang

Michael Dreyer: Verfassung und Staatsrechtslehre. Konstruktion und Kritik

Jan Markert: Das Kaiserreich als monarchisches Projekt Wilhelms I.

 

13:15-14:00 Uhr – Institutionen II: Bundesrat und Föderalismus
Moderation: Andreas Braune

Oliver Haardt: Der Bundesrat in Verfassung und Wirklichkeit

Paul Lukas Hähnel: Rethinking Federalism

 

14:15-15:15 Uhr – Mentalitäten und Massendemokratie
Moderation: Ulrich Lappenküper

Hedwig Richter: Das Kaiserreich und die moderne Massendemokratie

Christoph Nonn: Wahlrecht und politisches Verhalten

Jürgen Schmidt: Das Sozialistengesetz – Demokratiegeschichtlicher „Sündenfall“ des deutschen Kaiserreichs?

 

Kaffeepause

 

16:00-17:00 Uhr – Parlament und Parteien I
Moderation: Ulf Morgenstern

Michael Kitzing: Liberalismus im Kaiserreich und in Baden

Walter Mühlhausen: Arbeiterschaft und Sozialdemokratie

Stefan Gerber: Politischer Katholizismus

 

17:15-18:00 Uhr – Parlament und Parteien II
Moderation: Michael Dreyer

Wolfram Pyta: Kompromiss und Parteien im Kaiserreich

Theo Jung: Streitkultur im Kaiserreich

 

Freitag, 30. Oktober 2020

 

10:00-11:00 Uhr – Kommunalpolitik und Demokratie
Moderation: Markus Lang

Lennart Bohnenkamp: Die Tripolarität der Reichshauptstadt: Berliner Politik im Spannungsfeld von Reich, Staat und Kommune 1871-1918

Ralf Regener: Sozialdemokratische Kommunalpolitik am Beispiel Magdeburg

Kerstin Wolff: "Stadtmütter werden!" Kommunalpolitisches Engagement als Methode der bürgerlichen Frauenbewegung auf dem Weg zur politischen Gleichberechtigung

 

11:15-12:00 Uhr – Milieus I: Intellektuelle
Moderation: Andreas Braune

Ulrich Sieg: Radikaler Konservatismus

Marcus Llanque: Demokratische Intellektuelle

 

12:15-13:00 Uhr – Milieus II: Judentum
Moderation: Ulrich Lappenküper

Tobias Hirschmüller: Reichsgründung – Ein Erinnerungsort im deutschen Judentum?

Sabine Mangold-Will: Antisemitismus und Judenemanzipation

 

Mittagspause

 

14:00-14:45 Uhr – Demokratie und die bewaffnete Macht
Moderation: Ulf Morgenstern

Florian J. Schreiner: Bundeswehr und Kaiserheer – Monarchistische Traditionen für demokratische Streitkräfte?

Sebastian Rojek: Marine, Ministerverantwortlichkeit und Parlament

 

15:00-16:00 Uhr – Erinnerungskultur
Moderation: Michael Dreyer

Katja Protte: KRIEG MACHT NATION – Eine Ausstellung des Militärhistorischen Museums zur Gründung des deutschen Kaiserreichs

Ulrich Lappenküper: Vom Umgang mit der Reichsgründung in der deutschen Geschichte nach 1871

Martin Sabrow: Die Hohenzollern und die Demokratie nach 1918

 

Der Tagungsband sowie weitere Materialien zur Tagung können auf der Homepage der AG Orte der Demokratiegeschichte abgerufen werden.

 

Zeitraum: 29.10.2020 12:00 Uhr - 30.10.2020 16:00 Uhr