Preisträger*innen 2019/20
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Die Preisträgerinnen und Preisträger Dr. Elisabeth Piller, Moritz Herzog-Stamm, M.A., Claudius Kiene, M.A., Dr. Sebastian Elsbach, Johannes Hitzegrad, B.A. und Elias Angele, M.A. (v.l.n.r.) mit den Laudatoren Prof. Dr. Michael Dreyer, Dr. Andreas Braune, Prof. Dr. Martin Sabrow, Dr. Heiko Holste, Prof. Dr. Walter Mühlhausen und Prof. Dr. Ursula Büttner (v.l.n.r.) |
2020 haben die Forschungsstelle Weimarer Republik und der Verein Weimarer Republik zum vierten Mal Preise für Forschungsarbeiten zur Weimarer Republik ausgeschrieben. Sie wurden am 26. Februar 2020 im Rahmen der internationalen Konferenz "Vom drohenden Bürgerkrieg zum demokratischen Gewaltmonopol, 1918-1924" in Weimar verliehen. Die Resonanz auf die Auslobung der Preise war in allen Kategorien sehr hoch. Die Jury hat sich daher im Fall des Hugo-Preuß-Preises und des Friedrich-Ebert-Preises für eine Teilung des Preises entschieden.
Die Preise gingen im Jahr 2019/20 an:
Friedrich-Ebert-Preis für die beste Dissertation oder Habilitation |
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Dr. phil. Sebastian ElsbachDas Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Republikschutz und politische Gewalt in der Weimarer RepublikDissertation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, betreut von Prof. Dr. Michael Dreyer und Prof. Dr. Ulrich Wyrwa (Universität Potsdam) Aus der Laudatio der Jury: Für lange Zeit war das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gewissermaßen ein Symbol der gescheiterten Weimarer Republik: gut gemeint als Schutztruppe für die Republik, aber zugleich dem wechselseitigen Angriff von Rotfrontkämpferbund, Stahlhelm und SA hoffnungslos unterlegen – wie eben auch die Weimarer Republik zum Scheitern verurteilt war. Entsprechend gering war das wissenschaftliche Interesse am Reichsbanner. Der Band von Karl Rohe von 1966 ist tatsächlich für mehr als 50 Jahre weitgehend der Stand der Forschung geblieben. Das ist vorbei, und dafür hat die monumentale Arbeit von Sebastian Elsbach gesorgt. Es ist eine der großen Stärken der engagierten Untersuchung, daß es Elsbach gelungen ist, mit Akribie und Spürsinn jede Menge bislang weitgehend unbeachteter Archivalien ausfindig zu machen, die seine Arbeit auf eine ganz andere Quellenbasis stellen als alle vorherige Forschungsliteratur. Und damit kommt er auch zu ganz anderen Resultaten als seine Vorgänger. Vereinfacht gesagt zeigt die Arbeit, daß das Reichsbanner eine schlagkräftige, effektive und selbstbewußte Schutztruppe der Republik war, die zugleich große Anziehungskraft für Republikaner und Demokraten aus allen verfassungstreuen Parteien besaß. Die Arbeit von Herrn Elsbach ist eine enorme Bereicherung unseres Wissens über die Weimarer Republik. Vor allem ist sie ein gewichtiger Beitrag zur These, daß die Weimarer Republik keineswegs eine Republik ohne Republikaner war, deren Ende schon lange vor 1933 vorgezeichnet war. Damit fügt sich die Arbeit in den größeren Rahmen der neuen Forschung zur Weimarer Republik ein. Man kann die Vorhersage wagen, daß es viele Jahre dauern wird, bevor sich jemand eine neue Gesamtdarstellung des Reichsbanners zutrauen wird. Für die vorhersehbare Zukunft wird die Arbeit von Sebastian Elsbach die definierende Untersuchung der Gesamtgeschichte des Reichsbanners auf Reichsebene bleiben. Die Jury freut sich, diese exzellente und innovative Forschungsarbeit mit dem Friedrich-Ebert-Preis 2019/20 auszuzeichnen. |
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Dr. Elisabeth Piller
Re-Winning American Hearts and Minds - German Public Diplomacy and the United States, 1902-1937
Dissertation an der NTNU Oslo, betreut von Prof. Dr. Victoria de Grazia (New York), Prof. Dr. Daniel Maul und Prof. Dr. Espen Storli Aus der Laudatio der Jury: Elisabeth Piller befasst sich in ihrer methodisch innovativen, zudem auf einem eindrucksvoll breiten Quellen- und Literaturstudium beruhenden Untersuchung mit einem von der Weimar-Forschung eher vernachlässigten Gebiet: den zwischenstaatlichen Beziehungen. Dabei liefert sie keine traditionelle Diplomatie-Geschichte, sondern fragt im Sinne der neueren Kulturgeschichte nach „weichen“ historischen Faktoren: nach deutscher Public Diplomacy im Verhältnis zu den USA. Sie beleuchtet zum einen – schwerpunktmäßig – die Formen und Methoden der Sympathiewerbung des Auswärtigen Amts für Deutschland und die deutsche Politik; zum anderen werden die Reaktionen in der amerikanischen Gesellschaft und die ihnen zugrundeliegenden mentalen Voraussetzungen deutlich. Auch die für die neue Politik notwendigen Struktur- und Personalveränderungen im Auswärtigen Amt werden untersucht. Weil die deutsch-amerikanischen Beziehungen bisher hauptsächlich unter politischen und ökonomischen Aspekten behandelt wurden, kann Elisabeth Piller durch die Ausweitung auf das kulturgeschichtliche Gebiet viel Neues bieten. Unter der Vielzahl der Erkenntnisse sei hier nur eine hervorgehoben: Die neue Politik des Werbens um die amerikanische Seele wurde unter Außenminister Stresemann (1924 bis 1929) stark und mit Erfolg vorangetrieben. Sie war auch eine zeitgerechte Anpassung an die Modernisierungsschübe im Kommunikations- und Transportwesen und die Entwicklung einer Massenkultur. Es entstand eine spezifische, republikanische Außenpolitik, aber, wie die Autorin mit guten Gründen betont, keine Außenpolitik der Republik. Das Ziel war weiterhin in erster Linie die Revision des fast allgemein verhassten Versailler Vertrags und nicht die überzeugende Präsentation der demokratischen Republik. In Würdigung des kreativen Ansatzes, des reichen inhaltlichen Ertrages und der guten Gestaltung der Studie erhält Elisabeth Piller den Friedrich-Ebert-Preis 2019/20. |
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Hugo-Preuß-Preis für die beste Masterarbeit
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Elias Angele, M.A.
"Schützt die Revolution!" Die Stadtwehr in Bremen 1919-1921
Masterarbeit an der Universität Bremen, betreut von Dr. Eva Schöck-Quinteros und Prof. Dr. Susanne Schattenberg Aus der Laudatio der Jury: Elias Angele legt mit seiner herausragenden Masterarbeit die erste umfassende Geschichte der Bremer Stadtwehr vor, die infolge der Novemberrevolution und der Bremer Räterepublik und ihrer Niederschlagung in der Hansestadt gebildet wurde. Die Bedeutung der Arbeit geht jedoch über dieses lokalgeschichtliche Verdienst weit hinaus. Denn sie nimmt erstens mit ihrem institutionengeschichtlichen Ansatz einen Akteur der Revolutions- und Republikgründungsphase in den Blick, der wesentlich im bürgerlichen Lager verankert ist. Das ist angesichts einer Historiographie, die sich lange auf die Auseinandersetzungen im linken Lager und deren divergierende Deutungen konzentrierte, eine erfrischende und wichtige Weitung des Blickes. Zweitens thematisiert Elias Angele mit seiner Arbeit die Kämpfe um die ‚Sicherheitsarchitektur‘ der Revolution, wie sie allerorten mit dem Kollaps der alten Mächte in Deutschland ausbrachen und als lokale Machtkämpfe zwischen dem bürgerlichen, sozialdemokratischen und linksextremen Lager ausgetragen wurden. Da diese Kämpfe immer auf spezifische Art und Weise vor Ort ausgetragen wurden, können nur solch vorbildliche Lokalstudien wie die von Herrn Angele zu ihrem breiteren Verständnis beitragen. Elias Angele liefert daher wichtige Erkenntnisse über das Ringen um das staatliche Gewaltmonopol und die Hoheit über die Revolution in den frühen Jahren der Weimarer Republik. Die Arbeit von Elias Angele belegt dies und einiges mehr durch eine beeindruckende Recherchearbeit in Bremer Archiven und mit einem souveränen Überblick über die Ereignisse in Bremen und im Reich. Die Einbettung in den Forschungsstand und in weiter gefasste Theorien zur Genese und Entwicklung moderner Staatsgewalt machen die Masterarbeit zu einem wichtigen Beitrag zum Verständnis der Geschichte staatlicher und revolutionärer Gewalt in der frühen Weimarer Republik. Die Jury verleiht Elias Angele daher mit großer Freude den Hugo-Preuß-Preis 2019/20.
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Moritz Herzog-Stamm, M.A.Vorsichtiges Bekenntnis zur Republik: Die Reformbemühungen der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums und die Frage nach Wesen und Funktion der Polizei im Volksstaat (1918-1926)
Masterarbeit an der Universität Konstanz, betreut von PD Dr. Martina Steber (IfZ München) und Prof. Dr. Sven Reichardt Aus der Laudatio der Jury: In einer außerordentlich gekonnten Verknüpfung institutionengeschichtlicher und biographischer sowie ideen-, verwaltungs- und politikgeschichtlicher Ansätze zeichnet Moritz Herzog-Stamm die Bemühungen der preußischen Polizeireformer Wilhelm Abegg und Ernst van den Bergh um die Neuausrichtung der Polizei ‚im Volksstaat‘ nach. Dies geschieht vor dem doppelten Erfahrungshorizont einer Sozialisation in der wilhelminischen Bürokratie einerseits und den Gewalterfahrungen und der ‚Unordnung‘ der Revolutionszeit andererseits. Dem preußischen Staat verpflichtet und die neuen Bedingungen der Volkssouveränität akzeptierend, richten sie die Arbeit der Polizei im Sinne eines Dienstes an Staat und Volk – oder in ihrer begrifflichen Synthese: am Volkstaat aus. Das ist keine intrinsische Bejahung von Parlamentarismus und moderner Demokratie, aber eben das im Titel der Arbeit benannte „vorsichtige Bekenntnis zur Republik“ im Sinne eines weitgehenden Vernunftrepublikanismus. Zum Zwecke der Aufrechterhaltung dieser Ordnung kommen der Polizei dabei auch wichtige Funktionen einer wehrhaften Demokratie zu. Hinzu kommen Narrative, in denen die Modernisierung der Polizeiarbeit in Einklang gebracht wird mit einem evolutionären Geschichts- und Politikbild, in dem das Ende des Kaiserreiches und der Übergang zum ‚Volksstaat‘ verarbeitet werden. Die Jury folgt der Einschätzung des Erstgutachtens auf ganzer Linie: „Moritz Herzog-Stamm hat eine brillante Master-Arbeit vorgelegt, die durch ihre klare Fragestellung und Definition des Gegenstandes, ihre äußerst differenzierte Argumentation und stringente Thesenbildung, eine umfassende Kenntnis des Forschungsstandes, die abwägende Einordnung der eigenen Thesen, methodische Versiertheit und hohe darstellerische Kompetenz besticht.“ Hinzu kommt die beachtliche Forschungsleistung bei der ausgiebigen und versierten Auswertung zahlreicher gedruckter und ungedruckter Quellen. Die Jury verleiht Moritz Herzog-Stamm daher mit großer Freude den Hugo-Preuß-Preis 2019/20. |
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Claudius Kiene, M.A.Der Zentrumspolitiker Carl Spiecker und die Herausforderung des NationalsozialismusMasterarbeit an der Freien Universität Berlin, betreut von Prof. Dr. Uwe Puschner und Prof. Dr. Oliver Janz Aus der Laudatio der Jury: Carl Spiecker ist einer der Politiker aus der zweiten Reihe, die heute fast alle vergessen sind. Der enge Mitarbeiter der Reichskanzler Joseph Wirth und Wilhelm Marx schafft es zwar nie ganz in die Führung von Zentrumspartei und Reichsregierung, spielt aber als überzeugter Republikaner, Demokrat und Katholik eine zentrale Rolle in der Reichspolitik. Vor allem ist er ab 1928 im Reichinnenministerium für die Abwehr des Nationalsozialismus zuständig. Kienes Arbeit geht über die Weimarer Republik hinaus und betrachtet auch Exil und frühe Bundesrepublik, in der Spiecker als kurzzeitiger Zentrumsvorsitzender und, bis zu seinem Tode 1953, als Landesminister in Nordrhein-Westfalen noch einmal eine Rolle spielen wird. Aber auch die Abschnitte zu Weimar sind voller neuer Erkenntnisse. Die Arbeit von Claudius Kiene zeigt ein modernes Politikerleben zwischen Journalismus und Politik. Spiecker ist in Oberschlesien für die deutsche Sache tätig, leitet den Verlag der Germania, wird dann Reichspressechef unter Marx und findet in der Bekämpfung des Nationalsozialismus seine eigentliche Aufgabe. Zugleich gehört er zur Führungsschicht in vielen demokratischen Verbänden, unter denen auch das Reichsbanner nicht fehlen kann. Dieses politische Leben ist vom Autor souverän nachgezeichnet worden. Dabei entdeckt und verwendet Herr Kiene ein Vielzahl neuer Quellen aus zahlreichen Archiven, die in einer für eine Masterarbeit ungewöhnlich großen Zahl herangezogen wurden. Spiecker kommt in der umfassend recherchierten und eloquent geschriebenen Arbeit als einer der demokratischen Politiker und Aktivisten zum Leben, denen man mehr Glück gewünscht hätte, als sie tatsächlich bei ihrer Arbeit hatten. Immerhin kann man heute wenigstens ihre Biographen auszeichnen, und die Jury freut sich, den Hugo-Preuß-Preis 2019/20 an Claudius Kiene zu verleihen.
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Matthias-Erzberger-Preis für die beste Bachelorarbeit |
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Johannes Hitzegrad, B.A.„Einigkeit ist Ehrenpflicht“? Die Kommunalwahl in der Stadt Arnsberg 1919Bachelorarbeit an der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster, betreut von Prof. Dr. Werner Freitag und Prof. Dr. Thomas Großbölting Aus der Laudatio der Jury: In seiner Arbeit folgt Johannes Hitzegrad dem in der Politik und in der Politikwissenschaft bekannten Diktum „All politics is local“ und fragt nach den Folgen der Novemberrevolution auf Ebene der Kommunalpolitik. Denn auch dort bedeutete der Übergang vom Obrigkeitsstaat zur Demokratie einen grundlegenden Einschnitt. Schon am 12. November 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten das „gleiche, geheime, direkte, allgemeine Wahlrecht […] für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen“ eingeführt, und zwar ausdrücklich für „alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften“, also auch auf kommunaler Ebene. Für seinen Untersuchungsgegenstand, die im Sauerland gelegene Beamten- und Eisenbahnerstadt Arnsberg, bedeutete dies den Übergang vom preußischen Dreiklassenwahlrecht zum demokratischen Verhältniswahlrecht. Wie in allen Kommunen Preußens fanden auch in Arnsberg nach der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung und zur preußischen Landesversammlung die ‚ersten freien‘ Kommunalwahlen im März 1919 statt. Die zentrale Frage der Arbeit lautet vor diesem Hintergrund, ob und inwiefern mit dieser grundlegenden politischen Transformation auch ein neues Verständnis kommunalpolitischer Arbeit einherging. Genauer gesagt: Ob die alte Honoratiorenpolitik durch eine moderne parlamentarische und von Parteien geprägte Kommunalpolitik abgelöst wurde. Diese präzise Fragestellung untersucht Herr Hitzegrad anhand der Vorbereitungen und des Wahlkampfes, des Wahlergebnisses und der ersten parlamentarischen Arbeit der neu gewählten Kommunalversammlung der Stadt Arnsberg. Dabei stützt er sich vor allem auf lokale Zeitungen, aber auch auf verschiedene Akten und Protokolle der Stadtverordnetenversammlung. Ihm gelingt es dabei, den enormen Demokratisierungs- und Modernisierungsschub auf kommunaler Ebene nachzuzeichnen, der mit der neuen Wahlordnung einherging. Und das selbst an einem Ort, an dem die Sozialdemokratie als wesentliche Trägerin der Revolution keine besonders starke Rolle einnahm. In der politischen Praxis ließen sich zwar immer wieder – besonders im dominierenden katholischen und bürgerlichen Lager – honoratiorenpolitische Elemente nachweisen, doch ist der Übergang zu einer modernen Partei- und Parlamentspolitik mit Listenwahl und Fraktionsarbeit für das gesamte politische Spektrum klar zu identifizieren. Herr Hitzegrad weist mit seiner Studie auf eindrückliche Weise nach, wie der lokalgeschichtliche Blick klug und erkenntnisreich mit breiteren Forschungsfragen verknüpft werden kann. Auf diese Weise liefert die hervorragende Arbeit einen weiteren Baustein zum besseren Verständnis der demokratischen Transformation, die von der Novemberrevolution 1918/19 ausging. Die Jury zeichnet die Bachelorarbeit daher mit großer Freude mit dem Matthias-Erzberger-Preis 2019/20 aus.
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