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Preisträger*innen 2021

PreisträgerInnen_2020
alle Fotos (außer Andreas Dorrer): Thomas Müller, Weimar / Andreas Dorrer: Andreas Dorrer, Melbourne

Die Preisträgerinnen und Preisträger Lucia Juliette Linares, Hannah Irmela Diedrichs, Oliver Bahl, Laura Dolezich und Dominik Buchwinkler (v.l.n.r.) zusammen mit dem Vorsitzenden des Weimarer Republik e.V. und Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik Prof. Dr. Michael Dreyer (1.v.l.)

2020 haben die Forschungsstelle Weimarer Republik und der Verein Weimarer Republik zum fünften Mal Preise für Forschungsarbeiten zur Weimarer Republik ausgeschrieben. Sie wurden am 24. Februar 2022 im Rahmen der internationalen Konferenz "Föderalismus in der Weimarer Republik. Bollwerk oder Untergrabung der Demokratie?" in Weimar verliehen. Die Resonanz auf die Auslobung der Preise war in allen Kategorien sehr hoch. Die Jury hat sich daher im Fall des Hugo-Preuß-Preises und des Friedrich-Ebert-Preises für eine Teilung des Preises entschieden.

Die Preise gingen im Jahr 2021 an:

Friedrich-Ebert-Preis für die beste Dissertation oder Habilitation

Dorrer_2021

Andreas Dorrer, PhD

Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung - Legitimisation and De-Legitimisation of World War I in German Dramatic Literature

Dissertation an der Monash University, Melbourne, betreut von PD Dr. Franz-Josef Deiters und Assoc. Prof. Dr. Christiane Weller

Aus der Laudatio der Jury:

Bekanntlich erreichte die Kultur und Literatur in der Weimarer Republik eine bis dahin kaum gekannte Blüte in Deutschland. Die Gründe hierfür waren die Liberalisierungen nach der Zeit des wilhelminischen Obrigkeitsstaates und nach vier Jahren Krieg, die Modernisierung verschiedenster Lebensbereiche, aber auch die Pluralisierung und Polarisierung der Gesellschaft und die gezielte Förderung der Kultur durch die Republik. Dabei knüpften die verschiedenen Kultur- und Literaturformen auch an die vorherigen Erfahrungen an. In der Weimarer Nachkriegsgesellschaft gilt das insbesondere für die kulturelle Verarbeitung von Weltkrieg und Niederlage.

In seiner ausgezeichneten Dissertation rekonstruiert Andreas Dorrer dies detailliert und kenntnisreich für die Dramatik der Weimarer Zeit, vor allem aber für die schon im Weltkrieg entstandenen Dramen. Diese waren bislang noch nicht Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung gewesen. Wie in anderen Bereichen auch, galten sie lange aufgrund der Zensurbestimmungen und ihrer vermeintlichen Nähe zur Weltkriegspropaganda als wenig interessantes Forschungsfeld für die Kulturwissenschaften. Andreas Dorrer nimmt sich diesem Desiderat an und rekonstruiert einen Korpus von ca. 500 Weltkriegsdramen, die schon bis 1918 erschienen sind. Neben dieser herausragenden und weitere Forschung ermöglichenden Erschließungsleistung kann Dorrer anhand seiner literaturwissenschaftlichen Diskursanalyse detailliert zeigen, wie stark die nach dem Krieg entstehende Weltkriegsliteratur an Motive und Topoi aus der Zeit des Krieges anknüpft, auch wenn sich der Fokus von einer Legitimation des Krieges und seiner Opfer nun auf eine Delegitimation kriegerischer Gewalt verschiebt. In diesem Teil der Dissertation widmet sich Dorrer ausgewählten Dramen Bertolt Brechts, Ernst Tollers und Ödön von Horváths sowie Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ und dort der Figur des Kriegsheimkehrers. Dabei kann er zahlreiche implizite und explizite Bezugnahmen auf die Dramatik der Kriegsjahre nachweisen.

Andreas Dorrer gelingt es damit auf vortreffliche Art und Weise, neue Einsichten in die Kultur der Weimarer Nachkriegsgesellschaft zutage zu fördern und zu zeigen, wie dominant die Verarbeitung des Traumas des Krieges in den 1920er Jahren war. Die Forschungsstelle und der Weimarer Republik e.V. freuen sich besonders, mit der Arbeit Herrn Dorrer erstmals eine „überseeische“ Arbeit zur Politik und Kultur der Weimarer Republik mit dem Friedrich-Ebert-Preis 2021 auszeichnen zu können.

Linares_2020

Lucia Juliette Linares, PhD

German Politics and the 'Jewish Question', 1914-1919

Dissertation an der University of Cambridge, betreut von Prof. Dr. Duncan Kelly und apl. Prof. Dr. Michael Dreyer (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

Aus der Laudatio der Jury:

Die Dissertation von Lucia Linares stellt die Frage, welche Rolle die „Jüdische Frage“ in wichtigen Momenten der deutschen Politik gespielt hat.

Die Arbeit hat den Ersten Weltkrieg und die Gründung der Weimarer Republik im Fokus, aber der Umfang des Projektes ist weiter gefasst. Linares beginnt ihre Arbeit mit einer „genealogy of the Jewish Question“, zwischen Antisemitismus und Zionismus. Dies führt zu Versuchen des Kaiserreiches, die Jüdische Frage für eigene Kriegsziele zu instrumentalisieren.

Die Weimarer Republik kommt mit der Debatte über Art. 113 der Verfassung in den Blickpunkt, also mit dem Streit über Nationalitäts- und Minderheitenkonzepte in der Nationalversammlung. Linares zeigt die Auseinandersetzung zwischen Hugo Preuß und Oskar Cohn über die Formulierung dieses Verfassungsartikels. Das zweite Großereignis war die Versailler Friedenskonferenz – hier versucht die nunmehr republikanische Reichsregierung, die Jüdische Frage für ihre Zwecke zu nutzen.

Die Verfasserin zeichnet ein Dreieck zwischen Zionisten, den mehrheitlich integrierten deutschen Juden sowie den politischen Vorstellungen der jeweiligen deutschen Regierungen. Das ist ein neuer Forschungsansatz, und die Leitfrage – “how the Jewish Question functioned in German political discourse and German politics” – wirft einen frischen Blick auf bekannte Pfade. Die Fallbeispiele sind gut ausgesucht; sie erlauben Einblicke in Weichenstellungen der Politik und der Jüdischen Frage. Linares nutzt eine große Zahl von Primärquellen, um ihren Punkt der Verbindung der Jüdischen Frage mit der deutschen Politik nachzuweisen.

Auch wenn die Jüdische Frage nie ein primäres Ziel der deutschen Kriegszielpolitik war, kann Linares zeigen, dass Lobbyisten für jüdische Interessen immer wieder mit hochrangigen deutschen Regierungsvertretern zusammenkamen. Die Koinzidenz jüdischer und deutscher Interessen auf dem östlichen Kriegsschauplatz ist überzeugend dargestellt.

Während dieser Teil des Narrativs viele Akteure aufweist, ist die Geschichte hinter Art. 113 der neuen Verfassung eine Fallstudie über den Kampf eines Mannes mit allen anderen, nämlich Oskar Cohn und seinen Versuch, den Artikel nach Form und Bedeutung umzuschreiben. Dies grenzt an Obsession, und Linares bietet eine faszinierende Geschichte des Einsatzes für eine verlorene Sache.

Die Arbeit von Lucia Juliette Linares ist eine herausragende Forschungsleistung, die den Doktorgrad in Cambridge ebenso verdient hat wie den Friedrich-Ebert-Preis 2021. Die exzellente Arbeit ist bereits veröffentlich, und zwar als Band 15 der Weimarer Schriften zur Republik.

Hugo-Preuß-Preis für die beste Masterarbeit

Bahl_2020

Oliver Bahl, M.A.

Das proletarische Milieu der Weimarer Republik im Kontext einer Verbürgerlichung

Masterarbeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, betreut von Prof. Dr. Thomas Kroll und Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller

Aus der Laudatio der Jury:

Die Gesellschaft der Weimarer Republik war bekanntlich eine Gesellschaft, die ganz wesentlich entlang verschiedener Milieugrenzen strukturiert war, die zugleich auch das politische Leben wesentlich mitbestimmten. Gleichwohl: durch verschiedene Prozesse der Modernisierung, aber auch im Zuge der ökonomischen und sozialen Verwerfungen der Zeit, gerieten diese Milieus in Bewegung, und die Grenzen zwischen ihnen begannen, durchlässiger zu werden. In Reaktion hierauf gab es innerhalb der einzelnen Milieus auch Abwehrreaktionen und Versuche, die sozialmoralische Bindung der Mitglieder in Vereinen und mit Hilfe der eigenen Medien aufrecht zu erhalten oder gar zu stärken. Diese Dynamiken innerhalb und zwischen den Milieus sind – mit Ausnahme des bürgerlichen Milieus – bislang nur wenig erforscht.

Die hervorragende Masterarbeit Oliver Bahls zur „Verbürgerlichung“ im proletarischen Milieu ist daher ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der Gesellschaft der Weimarer Republik. Dank seiner klugen und begriffssensiblen Operationalisierung und der breiten Quellenauswahl gelingt es ihm, ein klareres Licht auf die bereits zeitgenössisch auftretenden Debatten um die Verbürgerlichung der „Arbeiterklasse“ zu werfen und der Frage nach der tatsächlichen Substanz dieses Phänomens nachzugehen. Demnach verbarg sich hinter einem internen Kampfbegriff zu Abgrenzung vom Bürgertum oder gegnerischen sozialistischen Strömungen durchaus ein beobachtbares soziales Phänomen, wie Herr Bahl anhand seiner Analyse des sozialistischen Vereinswesens (namentlich des Deutschen Arbeiter-Sängerbundes und des Arbeiter-Turn-und-Sportbundes), dem proletarischen Familienbild und Familienleben und der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteipresse nachweisen kann. Überall sind sukzessive Anpassung an als „bürgerlich“ begriffene Kultur- und Verhaltensweisen zu beobachten – sei es in der Auswahl des Liedgutes, eines auf Privatheit und Leistung orientierten Familienbildes oder einer stärker auf Unterhaltung, Kultur, Sport und Konsum ausgerichteten Struktur der „proletarischen“ Presse. Aus Perspektive proletarischer Milieu-Puristen musste dies wie eine „Entpolitisierung“ und Entfernung vom Klassenstandpunkt wirken, in der nüchternen Analyse Herrn Bahls aber zeigten sich darin schlechthin verschiedene Modernisierungstendenzen.

Der Verdienst der ausgezeichneten Arbeit Herrn Bahls liegt darin, auch für die Schicht der Arbeiterinnen und Arbeiter das Bild eines starren Milieus und einer homogenen Klasse zu revidieren, und auch für diesen Teil der Weimarer Gesellschaft einen weiteren Nachweis für die starken Modernisierungs- und gesellschaftlichen Nivellierungstendenzen in der Zeit der Weimarer Republik zu erbringen. Für diese hervorragende Leistung verleiht die Jury mit Freude Herrn Bahl den Hugo-Preuß-Preis 2021.

Diedrichs_2020

Hannah Irmela Diedrichs, M.A.

Die Kinderfreundebewegung und die Kinderrepublik Seekamp in der medialen Selbstdarstellung

Masterarbeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, betreut von Prof. Dr. Thomas Kroll und Prof. Dr. Gisela Mettele

Aus der Laudatio der Jury:

Im Zentrum der ausgezeichneten Masterarbeit Hannah Irmela Diedrichs steht die „Kinderrepublik Seekamp“, ein politisch-pädagogisch ausgerichtetes Ferienlager, das 1927 an der Ostsee stattfand. Organisiert wurde es von der sozialdemokratischen „Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde“ (RAG), in der 1932 ca. 120.000 Kinder und 10.000 Erwachsene organisiert waren. Sie zählte damit zu den wichtigsten Vorfeldorganisationen der Sozialdemokratie im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, und viele bekannte Sozialdemokrat*innen und Reformpädagog*innen engagierten sich dort. Nach dem Vorbild der Kinderrepublik Seekamp fanden bis 1933 zahlreiche weitere Kinderrepubliken im In- und Ausland statt.

Beachtlich war nicht nur die Größe des vierwöchigen Zeltlagers, an dem 2000 Kinder und mehrere hundert Erwachsene teilnahmen, sondern, wie Frau Diedrichs zeigen kann, auch der politisch-pädagogische Zuschnitt sowie die mediale und PR-Begleitung des Vorhabens durch die RAG. Denn in der Kinderrepublik sollten die Kinder selbst nach demokratischen Grundsätzen beraten und entscheiden, handelten nach einer eigenen Verfassung mit Wahlen, Ämtern, Gremien und parlamentarischen Entscheidungen und sollten damit im Sinne von ‚Demokratie als Lebensform‘, Pazifismus und Internationalismus sowie Koedukation und Ermächtigung im Zeichen des angestrebten Sozialismus erzogen werden.

Die ausgesprochen lesenswerte und lehrreiche Masterarbeit Frau Diedrichs füllt nicht nur eine Lücke in der Erforschung der Arbeiter*innenjugendbewegung, sondern zeigt sich auch in methodischer Hinsicht innovativ. Mit ihrer auch geschlechter- und kulturgeschichtlich orientierten Herangehensweise geht sie über die klassische sozialgeschichtliche Methodik der Arbeiterbewegungsgeschichte deutlich hinaus. Die von ihr untersuchten Quellen zur medialen und publizistischen Selbstinszenierung der RAG (Zeltlagerzeitung, ein Film und ein Bildband der RAG) boten sich hierfür besonders gut an. Diese eigenständige Forschungsleistung bereichert unser Bild von dem gesellschaftlichen und pädagogischen Experimentierraum der Weimarer Republik sowie die Vielfalt demokratischen Handelns um neue und erstaunliche Einsichten. In Anbetracht dieses erheblichen Beitrags ist es der Jury eine Freude Frau Diedrichs Arbeit mit dem Hugo-Preuß-Preis 2021 auszeichnen zu dürfen.

Dolezich_2020

Laura Dolezich

Jüdisch, weiblich, jugendbewegt - Innen- und Außenansichten auf den Jungjüdischen Wanderbund anhand eines Tagebuchs aus den 1920er Jahren

Staatsexamensarbeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, betreut von Prof. Dr. Anke John und Prof. Dr. Gisela Mettele

Aus der Laudatio der Jury:

Mit ihrer beeindruckenden Staatsexamensarbeit zeigt Laura Dolezichs, welch großes Erkenntnispotential und was für ein breiter Fächer an Zugängen sich aus der gründlichen Auseinandersetzung mit nur einer (ausgesprochen wertvollen) Quelle ergeben können. Denn die Arbeit basiert ganz wesentlich auf dem Tagebuch Eva Schiffmanns, das sie als 13jährige Schülerin 1925 zu schreiben begann und bis 1930 führte. Die Tagebuchschreiberin war ein ‚ganz gewöhnliches Mädchen‘, das in der Zeit der Weimarer Republik im Thüringischen Gotha aufwuchs und erwachsen wurde. Besonders wertvoll macht dieses Egodokument und diese wichtige Quelle der Alltags- und Jugendgeschichte jedoch, dass Eva Schiffmann die Tochter einer kleinbürgerlichen (ost-)jüdischen Familie war, und ihr Tagebuch daher auch spannende und aufschlussreiche Einblicke in das jüdische Leben der Weimarer Zeit gewährt.

„Jüdisch, weiblich, jugendbewegt“, wie es schon im Titel der Arbeit heißt – dies sind demnach die zentralen Erkenntnisachsen der Arbeit, und zu dieser Trias liefert Frau Dolezichs vielfältige Einsichten – ergänzt übrigens um das Kriterium der Provinz, da die Lebenswelt Eva Schiffmanns nicht in den urbanen Zentren der „Goldenen Zwanziger“ angesiedelt war. Da Eva neben ihrer schulischen und familiären Lebenswelt engagiertes Mitglied in der Gothaer Ortsgruppe des zionistisch-sozialistisch ausgerichteten Jungjüdischen Wanderbundes war, rückt in der Untersuchung Frau Dolezichs diese jüdische Jugendbewegung ins Zentrum ihrer aber auch darüber hinausgehenden Fragestellungen. Es ist nicht nur der beeindruckenden Quelle, sondern auch und vor allem der sensiblen und kenntnisreichen Analyse der Preisträgerin zu verdanken, dass verschiedene Spannungsfelder der Identitätskonstruktion und der Handlungsmöglichkeiten plastisch und lehrreich herausgearbeitet werden. Es wird deutlich, wie sehr die jüdische Jugendbewegung Eva einen eigenen Möglichkeitsraum jenseits der durch die Schule repräsentierten Mehrheitsgesellschaft, aber auch jenseits der engen Wertvorstellungen der eigenen Familie bot. Zugleich zeigt sich die persönliche Zerrissenheit zwischen den dort vermittelten Werten und Zielen der auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitenden Bewegung einerseits und dem Entwurf persönlicher Lebenspläne wie Abitur und Studium in Deutschland andererseits. Dabei gelingt es Frau Dolezich immer wieder, vom Einzelfall der Tagebuchschreiberin zu breiteren geschlechter- und alltagsgeschichtlichen Forschungskontexten und einer ausführlicheren Untersuchung der jüdischen Jugendbewegung der Weimarer Zeit zu wechseln – eine beeindruckende Forschungsleistung für die die Jury die Autorin mit Freude mit dem Hugo-Preuß-Preis 2021 auszeichnet.

Sprenger_2020

Tom Sprenger, M.A.

Die Inszenierung der Republik - Der Verfassungstag in der Weimarer Republik

Masterarbeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen, betreut von Prof. Dr. Bettina Severin-Barboutie und apl. Prof. Dr. Michael Wagner

Aus der Laudatio der Jury:

Dass das Diktum der „Republik ohne Republikaner“ kaum mehr einer genaueren Betrachtung standhält, ist in der Forschung seit einigen Jahren kaum noch umstritten. In Parlamenten, Parteien, Verbänden, Verwaltung und Zivilgesellschaft setzten sich zahlreiche Menschen für die Festigung der Demokratie sowie Stärkung der Republik ein und machten die Weimarer Republik zu einem lebendigen und aktiven demokratischen Staat – trotz aller Anfeindungen und der schlussendlichen Zerstörung der Weimarer Demokratie. Es ist mittlerweile auch bekannt und gut erforscht, dass die Republik, namentlich durch den Reichskunstwart, und die republiktragenden Parteien und Organisationen wie das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold auch an einer „Inszenierung“ der Republik, an einer republikanischen Symbolik und Festkultur arbeiteten. Ist dieser Themenkomplex also ausgeforscht?

Bei weitem nicht! Und das zeigt die exzellente Masterarbeit Tom Sprengers auf preiswürdige Art und Weise. Denn bislang ist wenig bekannt, wie sich diese Bemühungen „in der Fläche“, also auf Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene abspielten, auf welche konkreten Hindernisse sie dort stießen, welche Möglichkeiten sich ihnen boten, welche Akteure involviert waren und welche Formen sie dort annahmen. Tom Sprenger untersucht dies für die hessische Region, genauer gesagt die Städte Frankfurt am Main, Gießen und Wetzlar, die in der Weimarer Republik unterschiedlichen Ländern bzw. Verwaltungseinheiten angehörten. Im Zentrum stehen dabei die Verfassungsfeiern, die vor Ort organisiert wurden – sei es durch die Kommunen selbst, die republikanischen Parteien und Vorfeldorganisationen oder auch durch Schulen.

Besonders beeindruckend an der Arbeit Tom Sprengers ist die breite und vielfältige Quellenrecherche, die ihr zugrunde liegt, und die es ihm gestattet, ein detailliertes und differenziertes Bild dieser Bemühungen zu zeichnen. Viele eingangs erwähnte Erkenntnisse werden damit bestätigt und mit regionalgeschichtlicher Evidenz untermauert. Aber auch neue Akzente werden gesetzt. So vermag Herr Sprenger überzeugend darzustellen, dass sich die Akteure in vielen Fällen der Transformation von einer heroischen und personenbezogenen Festkultur, wie sie in den Reichsgründungsfeiern zutage trat und von den konservativen Gegnern der Republik weiter eingefordert wurde, zu einem nüchterneren ‚Verfassungspatriotismus‘ bewusst waren, inklusive der Herausforderungen, die damit einhergingen. Auch der Nachweis, dass die Verfassungsfeiern der beginnenden 1930er Jahre zunehmend eine ‚Republik in Bedrängnis‘ zeigten, gelingt sehr anschaulich. Eine durchweg überzeugende und bereichernde Forschungsleistung für die die Jury mit Freude den Hugo-Preuß-Preis 2021 verleiht.

Matthias-Erzberger-Preis für die beste Bachelorarbeit

 Buchwinkler_2020

Dominik Buchwinkler, M.A.

Kampf- und Expertenregierung. Die Kompetenzen des deutschen Reichs- und des österreichischen Bundespräsidenten im Vergleich

Bachelorarbeit an der Universität der Bundeswehr München, betreut von Prof. Dr. Kathrin Groh und Dr. Florian Lehne-Gonzalez

Aus der Laudatio der Jury:

Zu den besonders streitbaren Themen bei der Betrachtung der Weimarer Reichsverfassung gehört schon immer die besondere Stellung des Reichspräsidenten, wird darin doch eine zentrale verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Zerstörung der Demokratie ab 1930 gesehen. Die neuere Forschung ist hier zu einer ausgewogeneren Betrachtung gekommen und betont einerseits Elemente der wehrhaften Demokratie in der Stellung des Reichspräsidenten, andererseits die Bedeutung der politischen Gesinnung und Absichten derjenigen, die das höchste Staatsamt bekleiden. Zudem wurde vielfach angemerkt, dass der Weimarer „Semipräsidentialismus“ kein deutsches Sonderphänomen war, sondern vielfache Nachahmung in anderen modernen Demokratien gefunden hat. Neben der V. Französischen Republik gehört dazu zweifelsohne die Republik Österreich, deren heute gültige Verfassung auf den Bundesverfassungs-Gesetzen von 1920 bzw. 1929 basiert. Das Amt des direkt gewählten Bundespräsidenten der Republik Österreich ist daher dem des Reichspräsidenten in vielerlei Hinsicht vergleichbar.

Einem solchen Vergleich nimmt sich Dominik Buchwinkler in seiner prämierten Bachelorarbeit an. Von besonderem Charme ist dabei die diachrone Anlage des Vergleichs: Zu einem Zeitpunkt, als durch den Rückzug der FPÖ aus der Regierung, ein erfolgreiches Misstrauensvotum und die Einsetzung einer Expertenregierung ohne parlamentarische Mehrheit eine veritable Regierungskrise das Land erschütterte, rückte die Stellung des österreichischen Bundespräsidenten in den Fokus, und damit die Parallelen zur Weimarer Republik. „Weimarer Verhältnisse“ also in Österreich im Jahr 2019?

Die ausgesprochen klug und differenziert argumentierende Arbeit verneint dies. In einer gekonnten Verknüpfung rechts- und politikwissenschaftlicher Herangehensweisen arbeitet Herr Buchwinkler die verfassungsrechtlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Staatsoberhäupter heraus und unterstreicht mit Nachdruck, dass gerade semipräsidentielle Systeme für einen starken Wandel der Verfassungswirklichkeit offen sind. Der Weg in einen „Hyperpräsidentialismus“ wie am Ende der Weimarer Republik sei aber nicht nur wegen einer gut verankerten parlamentarischen politischen Kultur im Österreich der Gegenwart unwahrscheinlich, sondern auch, weil im Gegensatz zu Weimar eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit eine Selbstermächtigung des Bundespräsidenten verhindere.

Mit seiner ausgezeichneten Arbeit gelingt Herrn Buchwinkler ein weiterer Nachweis dessen, wie „lebendig“ die Weimarer Verfassung und ihre internationale Rezeption auch heute noch sind. Deshalb freut sich die Jury seine Arbeit mit dem Matthias-Erzberger-Preis 2021 auszeichnen zu dürfen.