Tagung "Einigkeit und Recht - doch Freiheit? 150 Jahre Kaiserreich"

 

Tagung 150 Jahre Kaiserreich

 

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Am 29./30. Oktober 2020 trafen sich 40 Expertinnen und Experten, um über die Stellung des Kaiserreichs in der deutschen Demokratiegeschichte zu diskutieren. Die Tagung sollte eigentlich in der Mendelssohn-Remise in Berlin stattfinden, wurde aufgrund der Corona-Pandemie jedoch kurzfristig als Online Workshop abgehalten. Der unmittelbare Anlass für die Tagung war das 150-jährige Jubiläum der Reichsgründung am 18. Januar 1871. „Wie kann man dieses Jubiläum heute angemessen begehen?“, so eine der zentralen Fragestellungen der Tagung.

Vorträge und Diskussionen der Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiteten die ambivalente Rolle heraus, die dem Kaiserreich im historischen Prozess der Demokratieentwicklung zukommt. Selbstverständlich war es ein Obrigkeitsstaat, ohne Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk bzw. dem Reichsparlament. Gleichzeitig fanden die Wahlen zum Reichstag unter einem im internationalen Vergleich wegweisenden allgemeinen und freien Männerwahlrecht statt. Als der Staat sich von der aufsteigenden Sozialdemokratie bedroht sah, reagierte er mit dem repressiven „Sozialistengesetz“. Die Repression führte aber eher zu einer Mobilisierung und Stärkung der Arbeiterbewegung und keinesfalls zu deren Zerschlagung. Parteien konnten im Reichstag und in den Landtagen ein Kompromiss-Dispositiv ausbilden und strategische Bündnisse erproben, allesamt wichtige demokratische Verhaltensmuster. Ohne die Möglichkeit zur Übernahme von Regierungsverantwortung wurde jedoch gleichzeitig eine Haltung der politischen Verantwortungslosigkeit und permanenten Opposition befördert. Auf kommunaler Ebene eröffneten sich Handlungsspielräume und Partizipationsmöglichkeiten für bislang ausgeschlossene soziale Gruppen, wie am Beispiel der Sozialdemokratie und der Frauen herausgearbeitet wird. In gesellschaftlicher Hinsicht konnte man demnach Elemente der Demokratisierung erkennen, nur trafen sie auf ein politisches und intellektuelles Establishment und auf ein Verfassungsgefüge, das diese als Anmaßung, Zumutung und existentielle Herausforderung wahrnahm und eher abzuwehren als zu integrieren versuchte.

Einen ausführlichen Tagungsbericht und eine Audioaufzeichnung der Veranstaltung sowie weiteres Material zur Thematik können Sie hier abrufen.

Foto: AG Orte der Demokratiegeschichte, Weimar